Wer bestimmt mein Leben 2.0 !?


Es ist gerade 4.45h morgens und ich bin vor etwa 15 Minuten aus einem Traum erwacht. Seit dem bin ich wie von einem Blitz getroffen und in meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Wie am Domino-Day stößt gerade eine Aha-Erlebnis das andere an und es fallen wie die Steine, die Inspirationen im Sekundentakt. Ich konnte gerade nicht anders, als aufzustehen und niederzuschreiben was ich gerade denke, bevor dieser Strom an Kreativität wieder versiegt.

Ich dachte gerade an eine Überschrift für diese Zeilen und das Erste was kam war “Wer bestimmt mein Leben!?”. Ich erinnerte mich, dass ich vor einigen Jahren schon mal einen Artikel mit dieser Überschrift verfasst hatte. Jetzt hab ich in meinem Blog nachgesehen und es stellt sich Gänsehaut ein, als ich lese, dass das ca. 7 Jahre her ist UND dass damals auch ein TRAUM der Auslöser für das Schreiben war. Das grenzt schon fast an Magie.

Aber jetzt zur Sache an sich:

Wir sind unbewusste Schöpfer unserer Träume

Mein Traum gehörte zu einer Art Traum, die ich sehr gut kenne. Ich habe einen wichtigen Termin und bin spät dran. Ich muss noch etwas holen, was aber an einem anderen Ort ist und dann passieren eine Million Dinge, die verhindern, dass ich meinen Termin einigermaßen pünktlich erreichen kann … verlegte Autoschlüssel, fehlerhaft Navigationsysteme, Menschen die mich aufhalten, Überschwemmungen, Umleitungen, Unfälle … es ist unglaublich, was sich ein Geist der schläft (oder anscheinend im Traum hellwach ist) alles ausdenken kann, damit eine gewisse Dramatik in einer ganz bestimmten Storyline entsteht. Ich denke über andere Träume nach und da wird mir etwas übers Träumen bewusst, was mir in meiner therapeutischen Arbeit schon lang als roter Faden dient. Und zwar, dass es etwas in mir geben muss, dass GENAU diese Story gerade erzählen will. Sonst würde diese Geschichte irgendwann einfach durch “Zufall” eine andere Wendung nehmen. Aber NEIN … es folgt Grund auf Grund warum ich zu spät kommen MUSS. Irgendwo in meinem Bewusstsein muss es also ein GEFÜHL geben oder eine ÜBERZEUGUNG von “Ich bin immer zu spät oder ich schaffe es nicht oder letztlich ist nie genug Zeit”. Diese Überzeugung ist also nicht Folge der Bilder im Traum, sondern die Flut der Bilder ist Folge dieser Überzeugung.

Das Körpergedächtnis als Regisseur

Der “Beweis” für diese Hypothese, erschloss sich mir durch meine Träume eigentlich schon als Kind. Lasst es mich an zwei Kindheits-Träumen exemplarisch darstellen:

Traum 1) Dieser Traum kam in meiner Kindheit öfters vor:  Ich muss im Traum aufs Klo und finde letztlich nach langer Suche einen Ort wo ich mein kleines Geschäft verrichten kann …. und wache im realen Leben auf in einem nassen Bett.

Traum 2) Diesen Traum hab ich nur einmal erlebt: Ich fliege in einem alten Doppeldecker durch die Wolken. Plötzlich mache ich einen Looping und bin nicht angeschnallt … darum falle ich aus dem Flugzeug … und lande in der Realität auf dem Boden, weil ich aus dem Stockbett (im Urlaub ohne Sicherung) gefallen bin.

Beide Träume zeigen ganz deutlich, dass mein Bettnässen oder mein aus dem Bett fallen, nicht FOLGE der Traumbilder sind, sondern dass das Körpergefühl vom Blasendruck und der Entleerung bzw das Körpergefühl vom Fallen, die Bilder ERZEUGT hat. Und zwar im zweiten Traum innerhalb von Sekundenbruchteilen, so dass dieser enorm kurze Moment im Traum wie zumindest mehrere Sekunden oder fast Minuten wirkte. Unglaublich eigentlich, zu welcher Leistung unser Körper-Geist fähig ist.

Übertragung in die Realität

Wenn wir jetzt mal annehmen, dass unser Bewusstsein nicht nur im Traum, sondern auch in unserem Alltag ähnlich funktioniert, dann hat das wichtige Konsequenzen. Denn dann schaffen wir uns auch im Alltag eine Welt, die dem entspricht, was wir an Körpergefühlen in uns tragen. In der Psychologie nennt man das “implizites Gedächtnis” – also etwas das in unserer Erinnerung abgespeichert – uns aber nicht bewusst – also explizit – zugänglich ist. Die gemachten Erfahrungen bleiben dann nicht als visuell abrufbare Erinnerungen über, sondern als ein “Körpergefühl”. Vor allem die Erinnerungen unserer ersten drei Lebensjahre, die unser Gehirn so sehr prägen, wie nichts anderes mehr später, werden weitgehenst in dieser Art und Weise erinnert.

Unser Bewusstsein spinnt aus einander ähnelnden Inhalten der unzähligen Erinnerungen des implizipten Gedächtnises einen roten Faden. Dieser wird zu so etwas wie einem inneren Drehbuch.

Vereinfacht gesagt läuft es in diese Richtung:
Wir machen Erfahrungen. Diese werden im impliziten Gedächtnis gespeichert. Wenn diese gehäuft auftreten oder mit genügend Bedeutung oder Wichtigkeit aufgeladen sind, werden daraus Überzeugungen, die dann als unbewusstes Drehbuch für unser Leben fungieren.

“Wir machen uns die Welt, auch wenn sie uns NICHT gefällt”

Natürlich bewegt sich das Universum nicht so einfach von Zauberhand wie unsere Traumbilder im Schlaf. Aber unser Gehirn ist dazu gemacht, einen Sinneszusammenhang herzustellen. Uns die Welt irgenwie erklärbar zu machen. Und ähnlich wie mein Geist im Traum damals versucht hat, das Gefühl von Fallen zu erklären, indem es Bilder vom einem Absturz in mir erzeugt hat, so nehmen wir aus der Welt bevorzugt jene Ausschnitte wahr und / oder geben jenen Erfahrungen die größte Bedeutung, die unsere impliziten Überzeugungen bestätigen. Oder wir verhalten uns unbewusst in einer Art und Weise, dass andere Menschen fast gar keine Chance haben, anders zu reagieren, als wir das unbewusst erwarten. Und selbst, wenn sie das einmal tun sollten, nehmen wir das dann entweder nicht wahr, geben dem eine geringere Bedeutung, treffen unkorrekte Annahmen über die Motivation ihres Verthaltens oder Verdrängen die Tatsache … alles nur damit unsere Kernüberzeugungen (“core beliefs” – wie sie der Hakomi-Begründer Ron Kurtz nannte) bestätigt werden.
Wir selbst, andere Menschen und die Welt dienen dann als Statisten unseres inneren Drehbuches – selbst wenn uns das nicht gefällt. Denn paradoxerweise fühlt sich unser auf Sicherheit programmiertes Gehirn damit wohler, eine bekanntes Drehbuch mit unangenehmen Inhalten abzuspulen, als ein unbekanntes Drehbuch mit vielleicht angenehmeren Inhalten. Ein System ist in erster Linie immer darauf ausgerichtet sich selbst zu erhalten.

Das ist der Grund warum positives Denken allein nicht funktioniert

Die Inhalte aus unserem inneren Drehbuch sind unserem Frontalhirn nicht so ohne weiteres bewusst zugänglich. Darum lassen sie sich zB mit positivem Denken allein nicht umprogrammieren. Warum das so ist, wird klar wenn wir das Träumen als Vergleich hernehmen. Wir können nach einem Albtraum, die Bilder des Schreckens im Wachzustand zwar durch schöne Bilder ersetzen. Du fühlst Dich dann zwar kurzfristig besser, änderst dadurch aber nicht das Drehbuch. Denn sobald Du wieder schläfst, hast Du keine Kontrolle über deinen inneren Regisseur. Deshalb fühlst Du Dich vielleicht phasenweise gut und selbstbestimmt, wenn Du mit positiven Affirmationen arbeitest, aber grundlegende Veränderungen an deiner Hardware kannst Du damit nicht vornehmen.

Sind wir unserem inneren Drehbuch also hilflos ausgeliefert?

Natürlich nicht!

Eine andere Art mit Affirmationen zu arbeiten

Wenn wir uns grundlegend verändern wollen, dann müssen wir Zugang zu unserem inneren Regisseur bekommen. In der Körperpsychotherapie (zB. Hakomi) oder der Traumatherapie (wie zB Somatic Experiencing) wird genau diesem Umstand Rechnung getragen, indem dort vor allem das Jetzt-Erleben des Körpers als Tor zu diesen Erfahrungen genutzt wird.

Wenn ich mit KlientInnen arbeite, dann helfe ich ihnen mehr und mehr “aufzuwachen”, indem ich den Vorgang des Träumens reversibel nutze. Ich versuche nicht im ersten Schritt ihre Traumbilder zu verändern, sondern versuche mit ihnen gemeinsam herauszufinden, wer oder was ihre Traumbilder erzeugt. Aus welchem Studio sie stammen. Dazu nutze ich unter anderem auch Affirmationen – nur genau anders herum. Ich führe sie zuerst in einen Zustand von entspannter Aufmerksamkeit in einem vertrauensvoll sicheren Rahmen und sage ihnen dann einen Satz, der sich für mich durch Beobachtung oder durch Gesprächsinhalte als passend anbietet, um damit zu experimentieren. Einem Menschen der schnell spricht, gehetzt wirkt oder so einen Traum in die Praxis mitbringt wie meinen, den würde ich bitten in sich zu beobachten, was passiert, wenn er oder sie den Satz hört “Du hast Zeit”.
Wenn der Satz von mir “richtig” gewählt war, dann wird der Mensch – da dieser Satz dem inneren Drehbuch widerspricht – zu diesem Satz ein ablehnenden oder zumindest ambivalentes Gefühl haben. Es kann sein, dass Körperempfindungen auftreten (mein Herz wird schneller, mein Hals wird eng), Gefühle entstehen (ich werde nervös, ich bekomme Angst) oder Gedanken oder Bilder auftauchen (ich seh mich grad als Kind das immer mit seinen Eltern von A nach B hetzte, ich hör grad die Stimme meines Vaters der immer Zeit ist Geld sagte usw.).

All diese Reaktionen dienen als Ausgangspunkte für die Erforschung des inneren Drehbuches.

Ein neues Drehbuch braucht neue Erfahrungen

Mit der Erfoschung allein ist es nicht getan. Wie kann ich ein Drehbuch umschreiben, das in der Vergangenheit geschrieben wurde, wenn die Vergangenheit schon vorbei ist?!
Das ist eine gute Frage. Mit einer komplexen Antwort, die den Rahmen dieses Artikels überschreitet. Aber ich kann zumindest die Richtung andeuten.

Es ist zwar so, dass die Vergangenheit schon vorbei ist, aber wir erleben im HIER und JETZT die Auswirkungen dieser Vergangenheit, die unsere Zukunft prägen wird. Wenn Erfahrungen die wir abgespeichert haben, zu Überzeugungen geführt haben, die zu unserem Drehbuch geworden sind, dann können es auch nur NEUE ERFAHRUNGEN sein, die zu neuen Überzeugungen führen die das Drehbuch verändern können. Da die meisten dieser prägenden Erfahrungen in Beziehung enstanden sind und mit irgendweiner Art von Verletzung oder unerfülltem Grundbedürfnis einhergehen, können neue Erfahrungen auch nur in einer heilsamen Art von Beziehung entstehen, die diese Grundbedürfnisse bewusst macht, sie anerkennt und auch bei ihrer Erfüllung hilft.
Alte Erfahrungen können nicht gelöscht oder verändert, aber innerhalb einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung in Relation gesetzt und in ein neues Licht gerückt werden. Dazu reicht es aber nicht, nur anders darüber zu denken, sondern gemeinsam hinzuFÜHLEN. Dazu brauchen sowohl Klient als auch Therapeut das Instrument ihres Körpers und die Bereitschaft sich menschlich aufeinander einzulassen.

Für eine ganzheitliche Psychotherapie

Es ist für mich ein Armutszeugnis für unser gesellschaftliches Bewusstsein, wenn innerhalb der Psychotherapie die körperorientierte Psychotherapie immer noch nicht anerkannt ist. Es ist ein Zeichen von Unreife dieser Disziplin, dass es dieses Wort überhaupt geben muss. Denn das heißt im Umkehrschluss ja, dass klassiche Psychotherapie nie ganzheitlich sein kann, solange man nicht die Wichtigkeit des Körpers anerkannt hat. Die Erkenntnisse aus der Hirforschung, der interpersonellen Neurobiologie, der Traumatherapie, der Embodiment-Forschung – sie alle haben noch immer nicht Eingang gefunden in eine der, für die seelische Gesundheit des Menschen, wichtigsten Wissenschaftsdisziplinen.

Welche immense Kraft und Bedeutung der Körper und die Körpergefühle als Ausdruck des implizites Gedächtnises für das Drehbuch unseres Lebens haben, hab ich in diesem Artikel vielleicht ansatzweise skizzieren können.

Ich wünsche mir, dass diese Zeilen Dich erreichen und Du Dich vielleicht etwas besser vestehen kannst. Dass Du dadurch eine Idee bekommst, wie Veränderung von statten gehen kann oder was sie manchmal verhindert. Dass Du gute Entscheidungen triffst, wenn Du darüber nachdenkst, wer Dich bei Veränderung begleiten soll. Und ich wünsche mir, dass Menschen in begleitenden Berufen endlich beginnen, das Wissen und die Erfahrung zu nutzen, die bereits seit Jahrzehnten zu Verfügung steht. Nämlich die existenziell wichtige Bedeutung des Körpers und des Fühlens in Entwicklungsprozessen, die miteinander genauso untrennbar verbunden sind wie diese beiden mit dem Denken. Der Leib ist die Einheit von Denken, Fühlen und Empfinden. Diese sind nicht zu trennen, sondern sind gleichermaßen und gleichzeitig beteiligt bei jeglicher menschlicher Erfahrung.

Dein Leben ist geprägt von deinen vergangenen Erfahrungen und Beziehungen. Doch im Hier und Jetzt kannst Du bewusst neue, ganzheitliche Erfahrungen machen & Beziehungen gestalten und somit deiner Zukunft und deinem Leben eine neue Richtung geben.

In einer Gruppe gelingt das oft leichter, weil wir alle voneinander lernen können. AUCH und GERADE in der Liebe. Darum gibt es die Liebesschule – www.liebes-schule.at

Alles LIEBE,
Manuel

PS: Hilfreiche Ganzheitliche Therapierichtungen mit denen ich Erfahrung habe und die den Körper miteinbeziehen (& deren Begründer):

* Hakomi – (Ron Kurtz)
* Somatic Experiencing – (Peter Levine)
* NARM – Neuroaffektives Beziehungsmodell – (Laurence Heller)
* ISP – Integrale Somatische Psychotherapie (Raja Selvam)
* Sensorimotor Psychotherapy – (Pat Ogden)
* Somatische Emotionale Integration – (Dami Charf)
* Neuroaffektive Persönlichkeitsentwicklung – (Marianne Bentzen)
* Bodynamic Psychology – (Lisbeth Marcher)

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