Vom Vater-Sein
Kaum etwas hat die Macht in meinem Leben, mich in meinem Mann-Sein gleichzeitig so zu berühren und zu erschüttern, wie das Vater-Sein. Das wird mir heute – am 16ten Geburtstag meines älteren Sohnes – wieder einmal bewusst. Die letzten Monate waren für mich als Vater wohl die herausforderndsten meines Lebens. Noch nie zuvor bin ich mit solch einer Hilflosigkeit und Angst konfrontiert gewesen und mit solch einem Schmerz, wie seit dem Jahreswechsel – einer Zeit in der eine heftige Krise mit meinem Sohn, meine Innere Welt auf den Kopf stellte.
Vor 16 Jahren hat er das Licht der Welt erblickt. Ich war mir damals nicht bewusst, wie tief sich das Miterleben seiner Geburt in meine Zellen prägen würde, so dass noch heute wenn ich daran denken muss, meist Tränen meine Augen fluten. Es war etwas gleichsam zartes und gewaltiges, was dem riesigen Mann der ich im Vergleich zu meinem winzigen Sohn war, den Eindruck vermittelte, total klein und zerbrechlich zu sein, im Angesicht dieser unbändigen Lebenskraft.
Damals hab ich Creeds “With arms wide open” gehört … und selbst nach 16 Jahren kriege ich noch jedes einzelne Mal Gänsehaut, wenn ich diese Melodie und diese Textzeilen höre.
“Well I don’t know if I’m ready
To be the man I have to be”
Es mag wie eine elterliche Bankrotterklärung eines Vates mit einem halb erwachsenen Sohn klingen – aber ich weiß immer noch nicht ob ich bereit bin. Alles was ich an diesem Tag heute weiß ist, dass ich nicht immer der Mann war, der ich gern gewesen wäre für ihn. Und dass mich das traurig macht. Und ich müßte lügen, wenn ich sagen würde, dass sich trotz aller Arbeit an diesem Thema nicht immer noch ab und zu Reste von Schuldgefühlen den Weg in mein Bewusstsein bahnen. Im Wissen, dass diese nicht helfen. Und ich weiß mehr denn je zuvor, dass ich nur im Hier und Jetzt etwas ändern kann und von jetzt an der Mann und Vater sein möchte, den ich den Rest des Lebens für ihn sein kann.
Die größte Herausforderung dabei scheint zu sein, die Versäumnisse von früher nicht “gut machen” zu wollen (denn das wäre nicht gut) – sondern einfach Dinge anders zu tun, als ich sie bisher getan hab. Auch weil mir mittlerweile andere emotionale und zwischenmenschliche Kapazitäten zur Verfügung stehen als noch vor 10 oder 15 Jahren. Und auch die äußeren Bedingungen sind andere. Der materielle Existenzkampf der die ersten 10 Jahre für das Familienleben eine spürbar belastende Rolle spielte, ist jetzt weitgehendst vorbei. Die Zeit in der meine Söhne einen präsenten Vater brauchten jedoch auch. Ich war eh viel da, aber oftmals nicht GANZ da. Und damals schon hat mich das Gefühl zerissen – zu WOLLEN, aber gefühlt nicht zu KÖNNEN, weil man gewissen Mustern und Gefühlen wie einem Sog ausgeliefert scheint.
Heute ist meine Rolle eine andere. So sehr er damals über viele Jahre brauchte, dass er mir vertrauen kann, so wichtig ist es heute, dass ich lerne immer mehr ihm zu vertrauen. Und zwar nicht in einer Weise, dass ich darauf vertrauen kann, dass er sich an meine Regeln hält, sondern darauf, dass er immer sein Bestes gibt im Leben (mit den Karten die ihm das Leben in die Hand gegeben hat) und dass er seinen Weg machen wird.
Danke Jesper Juul für die Erinnerung in deinem Buch “Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht”.
Ich hatte es in meiner Kinder- und Jugenzeit nicht immer so leicht – als ruhiges, “braves” & bescheidenes Kind – mit einem sehr starken und charismatischen Vater an meiner Seite. Schon in Jugendjahren liebte ich den Song “Father & Son” von Cat Stevens und hab mich enorm im Part des Sohnes wiedergefunden. Und obwohl ich vorhatte, einiges anders zu machen, hab ich mich mich gerade heute wieder dabei ertappt, meinem Sohn gegenüber ganz schön in die Rolle des (bevormundenden) Vaters geschlüpft zu sein. Und wahrscheinlich ist das in gewisser Weise auch der Lauf der Dinge und muss – gerade in der Pubertät – so sein.
Auf jeden Fall konfrontiert einen das Vater-Sein unweigerlich mit dem Sohn-Sein und wirft unbearbeitete Fragen auf … was gut ist, denn die warten ja oft schon lange darauf, endlich bearbeitet zu werden, damit man nicht nur der sein kann, der man IST, sondern auch der werden kann, der man sein möchte. Durch die Geburt meiner Söhne ist mein Vater in eine Großvater-Rolle geschlüpft und das hat uns allen gut getan. Die schwierigen Dinge die es mal früher zwischen uns gab, haben sich in mir gut gelöst und ich bin dankbar und froh, ein gutes Verhältnis mit ihm zu haben.
Ein paar Zeilen im oben erwähnten Buch von Jesper Juul haben es mir ermöglicht, meinen Sohn heute an seinem Geburtstag aus einer gewissen Distanz zu sehen. Ihn nicht nur als “Sohn” zu sehen mit unserer ganzen Geschichte, sondern als einzigartigen Menschen der er ist – mit seinem eigenen Weg den er gerade geht – ob es mir passt oder nicht. Das hat der Raum geöffnet für ganz viel Liebe & Dankbarkeit die ich gerade empfinde – so dass ich ihm heute schreiben konnte “Geh Deinen Weg”.
In Liebe – allen Vätern & Söhnen – und natürlich auch Müttern und Töchtern,
Euer Manuel
PS: Das Video unten ist ein Geschenk an meinen Sohn und mein erstes Video überhaupt in dem ich singe und Gitarre spiele. Es ist genauso “imperfect” wie mein Vater-Sein.