Schätze heben statt Schützengräben – ein Artikel für Männer

(H)EY MANN!

Endlich mal passt diese Anrede, die ich gefühlt 1000 mal am Tag aus den stupiden YouTube Videos höre die mein Sohn schaut, wenn er bei mir ist. Dieser Artikel ist für Dich geschrieben lieber Mann!

Vielleicht hast Du eine Antwort auf meine Frage?! Oder kannst mir einen Reality-Check geben!?

Seit einiger Zeit ist es mir nämlich ernsthaft ein Anliegen, einem Phänomen auf den Grund zu gehen, welches ich schon seit Jahren einfach hingenommen hab:

Warum eigentlich immer eklatant mehr Frauen (bis hin zu NUR Frauen) bei Vorträgen, Seminaren, Workshops, Fortbildungen und Ausbildungen zu den Themen Liebe, Beziehung & Sexualität sind, als Männer???????????

Ich nehm jetzt einfach mal an, dass Du nicht zu der Sorte Mann gehörst deren einfache Antwort darauf sowas wäre wie “Weil das Pussy-Themen sind Alter”.

Erfahrungen aus der Praxis 

In meiner Praxis mache ich mit (heterosexuellen) Paaren immer wieder zwei Erfahrungen:

  • Paare kommen erst dann zu mir in die Beratung, wenn die Frau das Beziehungs-Aus in den Raum stellt, für den Fall, dass der Mann nicht mitkommnt.
  • Männer überlassen die Gestaltung des Beziehungslebens weitgehenst der Frau (das schließt sowohl die Paar-Beziehung, als auch die Beziehung zu den Kindern mit ein)

Gerade höre ich aus dem Radio etwas über den Konflikt zwischen Israel und den Palestinänsern …

… “Unter Raketenbeschuss verhandelt es sich nicht gut”.


Das gilt auch für Beziehungen. Die Lust des Mannes, etwas in der Beziehung zu verändern, oder sich bei deren Gestaltung mehr zu beteiligen hält sich – um es nett zu formulieren – in Grenzen, solange er mit Raketen beschossen wird.

Ich hab den Verdacht, dass sich – kollektiv gesehen – der Mann hinsichtlich des Liebes- und Beziehungslebens, ständig unter Beschuss fühlt und oft wirklich auch befindet und früher oder später entweder zurückschießt oder das Feld räumt. Zweiteres ist in unserer Zeit und Kultur die einzig öffentlich-sozial verträgliche Variante, was für mich erklärt, warum Männer das Feld der Beziehungsgestaltung in vielerlei Hinsicht geräumt haben.

Was sind diese Raketen, die auf Männer immer wieder abgefeuert werden und dazu beitragen, dass sie sich in ihre Schützengräben zurückzuziehen?

Der Paartherapeut Jürg Willi hat in seiner Praxis jahrzehntelang Vorwürfe wissenschaftlich untersucht, die Männer und Frauen einander in Beziehungen machen. Dabei ist er draufgekommen, dass diese Vorwürfe in hohem Maße geschlechtsspezifisch sind. Diese mögen im Einzelfall bei Dir lieber Mann – unter Umständen – nicht zutreffen. Mir geht es in diesem Artikel aber vor allem um die kollektive Dimension dieser Vorwürfe und dieses Phänomens. So ist der Rest dieses Artikels dann auch zu verstehen. Die Verallgemeinerungen die sich folgend ergeben, sind also intentional.

Die Top 3 “Cruise-Missiles”

… die auf Männer immer wieder abgefeurt werden sind folgende (in meinen eigenen unwissenschaftlichen Worten)

Rakete 1)  “Du interessierst Dich einen Scheiß für mich”
(= Du bist zu unaufmerksam, Du hast keine Zeit für mich, Du zeigst zu Hause und in der Beziehung kein Engagement, Du nimmst mich nicht ernst, Du hörst mir nicht zu …)

Rakete 2) “Du bist ein emotionaler Analphabet

(= Du bist zu unemotional, Du bist unnahbar, distanziert, nicht spürbar, lässt mich nicht an Dich ran, bist nicht einfühlsam, zu mechanisch, zeigst zu wenig Anteilnahme und Einstimmung)

Rakete 3) “Du bist ein Egoist”
(= Du bist zu unabhängig, Du denkst dauernd nur an Dich, mit Dir kann man sich nichts ausmachen, Du bist nur mit deinen Dingen beschäftigt, Du bist unverbindlich und unverlässlich)

Interessant ist die Beobachtung von Jürg Willi, dass diese Vorwürfe objektiv gesehen meistens zugleich zutreffend und unzutreffend waren. Zutreffend meistens im beoabachtbaren Verhalten.
Unzutreffend oft im Rückschluss auf die Beweggründe oder die innere Wahrheit des Mannes.

UND – das ist jetzt mein persönlicher Zusatz – nicht nur unzutreffend, sondern auch unzureichend. Denn im Schatten der Vorwürfe an die Männer, liegt ein Schatz vergraben. Ein Schatz den Frau schwer sehen kann … denn im gegenseitigen Raketenhagel (es gibt natürlich auch die TOP 3 Raketen der Männer an die Frauen) verhandelt es sich nicht nur schlecht, sondern es lässt sich auch nicht wirklich sehr genau und differenziert schauen. Schwer wenn man dauernd in Deckung gehen muss.

Die Schätze im Schatten der Vorwürfe


Was sind die Schätze, die in diesen Vorwürfen vergraben liegt? Wie könnten wir Männer uns mitteilen, wenn wir in Kontakt mit diesen Schätzen wären, wenn wir sie förmlich in unseren Händen halten könnten. Was können wir tun, um diese Schätze vom dem Dreck zu befreien in dem sie lang geschlummert haben? Wie können wir diesen Schätzen zu mehr Glanz verhelfen?

Let´s take a closer look:

ad Vorwurf 1)  “Ich bin nicht an Dir uninteressiert – ich habe eine andere Meinung.”

Bei der Bearbeitung von Paarkonflikten mache ich oft die Feststellung, dass Männer auf meine Nachfrage hin eigentlich gut wiedergeben können was ihre Frauen sagen oder sich wünschen – nur dass sie oft einfach etwas anderes wollen und das nicht klar formulieren können (um dem nächsten vermeintlichen Raketenhagel zu entgehen). Bzw. gibt es einen schlauen Detektor in Männern, der genau weiß wann er Ohren und Augen vorübergehend auf “hold” setzen muss, damit er in diesem Moment nicht auf Konfrontationskurs gehen muss, weil Männer (wie Frauen) ja eigentlich ihren Frieden haben wollen. Diese interne Intelligenz bekommen Frauen aber oft nicht mit und interpretieren dieses Verhalten als “Du interessierst Dich einen Scheiß für mich”

ad Vorwurf 2) “Ich bin nicht unemotional – ich bin mit meiner Ratio in gutem Kontakt.”

Es gibt keine Menschen die unemotional sind, denn wenn jemand komplett unemotional wäre, dann wäre er nicht lebensfähig. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen von emotionaler Bewusstheit, Intensität, Bandbreite, Expressivität usw. Gerade Menschen die sich für sehr bewusst halten und an Persönlichkeitsentwicklung interessiert sind, unterliegen oft dem Mythos, dass fühlen besser wäre als denken– weil echter, lebendiger oder spiritueller. Diesen Menschen sei gesagt, dass weder EMOTIONEN noch der VERSTAND das Rennen machen, sondern der geschulte Umgang mit beiden. “Emotional zu sein” ist per se genauso sinnvoll oder sinnlos wie im Kreis zu denken. Und in vielen Situationen ist es GERADE dann, wenn man droht intensiv emotional zu werden, unumgänglich den Verstand dazuzuschalten, um sich selbst gut regulieren zu können.

ad Vorwurd 3) “Ich bin nicht egoistisch – ich bin selbstbestimmt.”

Ich hab vor einiger Zeit mal einen Spruch gelesen. “Für alle die immer zuerst an die anderen denken, sind Menschen die auch an sich selbst denken Narzissten”. Ich sehe oft, dass im Kern dessen, was so abschätzig Egoismus oder Narzissmus geschimpft wird, im Kern die Fähigkeit ist, selbstwirksam sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Das kollidiert natürlich früher oder später damit, wie Frauen die letzten Jahrhunderte sozialisiert wurden – nämlich IHREN Lebensentwurf dem Wohlergehen von Familie und Staat unterzuordnen. Das berührt eine kollektive Wunde der Frau, deren Lösung aber nicht darin besteht, dass auch DU lieber Mann, deinen Lebensentwurf hinten anstellst. Vielmehr braucht es den Mut, diesen Schatz und diese Gabe in Dir zu erkennen und deinen Versuch die Frauen zu Ermutigen, diesen Schatz auch in IHR zu heben.

WIR haben eine Meinung.
WIR sind gut mit unserer Ratio im Kontakt.
WIR sind selbstbestimmt.

Wo Licht ist, da ist auch Schatten 


Nachdem wir diese Schätze gehoben haben Männer … Hand aufs Herz … wo Licht ist, da ist auch Schatten.
Frauen haben hinsichtlich ihrer Männer einen wahnsinnig guten Schattendetektor. Aber auch eine Gabe das Potential in einem Mann zu sehen. Gerade anfangs sehen sie in Dir nicht nur das, was Du bist, sondern auch das was Du sein könntest. Und viele ruhen nicht eher, als all dein Licht all deinen Schatten transzendiert hat.

Frauen könnten also theoretisch gesehen Dein bester Motor für Entwicklung sein. Deine Cheerleaderinnen für deine Potentialentfaltung.

Unsere Schatten sind da und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Das Problem ist nur, dass die meisten Menschen ihre Schatten erst konfrontieren können, wenn zuerst ihr Licht gewürdigt wird. Wir alle wollen mit unseren Schätzen gesehen und anerkannt werden. Wir alle wollen wertgeSCHÄTZT werden.

Raketen und Kriegsschauplätze sind ein denkbar schlechter Entwicklungsenkubator. Auf der anderen Seite … wenn Menschen zu Raketen greifen, dann meist nicht aus purer Lust und Laune sondern eher aus einer inneren Not heraus und aus Ohnmacht, Hilflosigkeit und fehlender Kreativität.

Wertschätzung & Heilung statt Schützengräben


Die Schützengräben in der kollektiven Beziehung zwischen Männern und Frauen entstehen aus dem Schmerz daraus, gegenseitig nicht voneinander gesehen und wertgeschätzt zu werden. Und auch daraus, dass der Schmerz der aus dem Jahrzehnte- oder Jahrhunderte langem Raketenbeschuss entstanden ist, nicht gesehen wird. Und von gewissen Schutzschichten in uns auch nicht gesehen werden will. Denn das könnte alte Wunden aufreissen.

Ich habe es in unzähligen Workshops und Paar-Sessions schon erlebt, dass genau dann, wenn Frauen und Männer sich gegenseitig wirklich ehrlich mitteilen können, ihren Raketenabwehrschild deaktivieren und sich gegenseitig in ihren Kriegsverletzungen sehen lassen, Heilung einsetzt und Friede einkehrt.

Ein berührender Beitrag dazu ist zB das Video “From Women to Men”. Als ich das Video das erste Mal gesehen hab, war das Balsam auf meiner männlichen Seele. Und da war dann die Offenheit stark spürbar, sich dafür einzusetzen, dass auch Frauen ähnliches hören und erfahren können. Ich möchte Männer wie Frauen an Herz legen, dieses Video UNBEDINGT anzusehen und auch HEUTE zu beginnen … ihr werdet dann wissen womit …


Es gibt gute Gründe dafür, warum Männer und Frauen ihre geschlechtsspezifischen Wunden & Lernaufgaben in sich tragen. Aber dazu mal in einem anderen Artikel. Der Psycho- und Paartherapeut Terry Real vom Relational Life Institute hat es mal in einem Satz auf den Punkt gebracht:

„Men have to find and open their hearts and woman have to raise their voices“

Liebe Männer!
OPEN YOUR HEARTS and SHARE YOUR TREASURES!

  • Lasst und unsere Schätze heben, in den Händen tragen UND unsere Schatten konfrontieren.
  • Lasst uns unsere Meinung haben. Aber auch den Mut sie auf liebevolle Art und Weise auszudrücken. Und die Größe auch anderen ihre Meinung zuzugestehen.
  • Lasst uns gut mit unserer Ratio in Kontakt sein. Aber auch emotional reifer werden. Denn dann kann unser Leben noch lebendiger und bunter werden.
  • Lasst uns selbstbestimmt leben. Aber lasst uns auch Verantwortung übernehmen für die Gestaltung von Beziehungen – zu unseren PartnerInnen, unseren Kindern und der Erde auf der wir leben.
  • Lasst uns unsere Grenzen wahren und die Raketen nicht auf und in uns landen und detonieren. Aber lasst uns die Richtung der Raketen als Kompass benutzen – um unsere eigenen Schatten besser zu erkennen.

Die Welt braucht euch Männer!!!

Wenn ihr zu einem Workshop oder einem Coaching zu den Themen Liebe, Intimität oder Sexualität geht, dann nicht, um der Frauenwelt einen Gefallen zu machen, oder damit Dir jemand erzählt was Du alles falsch machst und wie es richtig geht, sondern deswegen, dass DU Dich mit deinen Schätzen und Qualitäten einbringst. Die Welt braucht Menschen die eine Meinung haben und dahinter stehen können, die Emotionen mit ihrer Ratio ausbalancieren und die einen Weg in ihrem Leben verfolgen, der ihnen wichtig ist. Zumindest solche die das lernen wollen.
Überlasst das Feld der Beziehungsgestaltung nicht allein den Frauen. Es geht nicht darum auf die Art und Weise zu lieben, intim zu sein und Sex zu haben wie manche Frauen das von Euch wollen, oder es irgendwelche schlauen Bücher vorschreiben. Es geht darum rauszufinden, wie DU Liebe leben möchtest, wie Du Sex leben möchtest und wie Du Beziehungen gestalten willst, wenn Du dein Potential wirklich nutzt.

Lieber Mann!
Der Rückzug aus dem Beziehungsfeld hat fatale Auswirkungen – nicht nur auf die Zufriedenheit der Frau – sondern vor allem auch auf deine eigene Lebensqualität, auf die Deiner Kinder und dein ganzes Umfeld. Auch dieser Planet Erde und das Klima brauchen Deine Schätze.  

Und auch ich möchte gerne bewusste Männer in der Liebesschule sehen – unserem Jahrestraining für Intimität, Eros & Beziehung – damit DU dann mit allem was Du bist und werden kannst, andere dazu inspirieren kannst, ihre Schätze zu heben.

Let´s start NOW.

Danke fürs Lesen!
Manuel

PS: Hier einige Tipps für den Mann:

Buchtipps zum Thema Männliche Sexualität:
Lustvoll Mann Sein – Salem Matthias Riek
Klappt´s? – Michael Sztenc

Männer-Angebote:
Coaching & Männertrainings – Gregor Steinmaurer
Men in the Woods – Männerworkshop im Wald
Evolving Men – Coaching – David Lion
Coaching mit Schwerpunkt Sexualität / Intimität / Beziehung – Manuel Harand

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