Männer & Sex – ein Interview, das es nicht ins WOMAN schaffte

Im der WOMAN-Ausgabe vom 7.10.2021 war ich mit einem kleinen, sehr persönlichen Interview als Mann, der über seine Sexualität spricht, vertreten. Die Fragen die man mir als Experte gestellt hat, fanden leider keinen Weg in die Story. Da ich die Fragen aber sehr wertvoll fand und auch meine Antworten an diesem Tag recht geistreich schienen, wollte ich Euch das Interview gerne auf diesem Wege zur Verfügung stellen. Danke an dieser Stelle an Angelika Strobl – die Redakteurin, die diese Story für Woman recherchiert hat:

Was wollen Männer wirklich im Bett? Und wie findet man das am besten heraus?

Das kann ich nicht pauschal beantworten weil es so eine Vielfalt unter den Männern  – so wie unter Menschen allgemein gibt. Was ich aus den meisten Gesprächen aber immer wieder raushöre ist, dass sie sich eine Partnerin im Bett wünschen, die selbst intrinsische Freude am Sex hat und sich wirklich gehen lassen kann. Und wenn man wissen will, was Männer im Bett wirklich wollen, dann müßten Männer zuerst mal damit anfangen, das selbst im Detail rauzufinden. Wenn sie das wissen und dazu noch ehrlich sind, dann kann man sie einfach fragen.

Haben sich deren Wünsche und Bedürfnisse denn im Verlauf der Jahre verändert? 

Ich glaube, dass der Wunsch nach einer erfüllenden Sexualität so alt ist, wie der Mensch selbst. Vielleicht sind in einer Zeit in der man jegliche nur erdenklich mögliche sexuelle Handlung in Bildern konsumieren kann, die Ansprüche etwas vielfältiger geworden, da sie unsere Neugier beflügeln und Sehnsüchte wecken.  

Wie geht guter Sex?

Guter Sex braucht zwei Menschen die fähig sind, Sexualität an sich und ihre Körper zu genießen und sich im erotischen Spiel verbal oder nonverbal abzustimmen, um sich miteinander ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Das braucht sowohl ein gutes Selbstbewusstsein, als auch Einfühlungsvermögen. Sex ist ein komplexes Feld und man könnte Sex – wie manche alte Kulturen –  auch als Kunst sehen. Dafür muss man dann auch gewisse Fähigkeiten schulen. Zu dem Thema werde ich Anfang nächsten Jahres einen Online-Kurs herausbringen (http://sexhochdrei.at)

Was können Männer dabei von Frauen lernen und umgekehrt?

Ich sage immer, dass Sex etwas ist, das man lernen kann, aber auch etwas bei dem man etwas ÜBER SICH lernen kann. Das kann bei jeder Konstellation etwas unterschiedliches sein. Im Schnitt haben die meisten Männer und Frauen die ich beruflich und privat kenne, auf diesem Lerngebiet sehr viel Luft nach oben.

Kommen Männer eigentlich noch hinterher, was Frauen im Bett brauchen?

Allgemein gesprochen brauchen Frauen in der Sexualität oft gerade anfangs noch mehr Sicherheit und Vertrauen als Männer, um sich wirklich entspannen und sich dem Moment und der Begegnung hingeben zu können. Das ist verständlich, da ja buchstäblich ein anderes Wesen in sie eindringt.
Wenn diese Basis da ist, dann können Männer in der Regel ganz viel von ihnen haben. Das Fatale ist, dass viele Männer a) nicht wissen wie man diese Basis aufbaut und b) sich nicht fragen trauen, was die einzelne Frau im Bett wirklich möchte. Und selbst wenn sie es tun würden, würden viele Frauen mit dieser Frage überfordert sein – da sie sich oft selbst auf diesem Gebiet noch nicht in der Tiefe kennen.

Wie können Männer herausfinden, was sie wirklich wollen, im Bett? 

Das hat viel mit Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Das braucht eine Neugier für das Thema und Umfelder in denen man offen über das Sex-Thema sprechen kann. Außerdem bräuchte es Erfahrungs- und Experimentierräume die frei von Erwartung, Leistungsdruck und toxischer Scham sind – wie zB die Liebesschule oder Veranstaltungen wie die “Liebesschul-Abende” (www.liebes-schule.at)

Wie können sich Männer von Rollenklischees und toxischer Männlichkeit befreien? Was können Frauen tun, um sie dabei zu unterstützen?

Das ist ein persönlicher und kollektiver Reifeprozess der viel damit zu tun hat, geschichtliche Wunden zwischen Mann und Frau aufzuarbeiten. Das geht aber nicht nur auf der Verstandesebene, sondern ist eine verkörperte Arbeit mit Gefühlen und Emotionen. Systemisch geht das ganze nur, wenn auch Frauen bereit sind, sich dem Schatten ihrer toxischen Weiblichkeit zu stellen.

Ein Buchtitel, der mir letztens aufgefallen ist: „Frauen wollen reden, Männer wollen Sex“: Stimmt das noch so, Ihrer Einschätzung nach?

Ich versuche meistens trotz aller Unterschiede die es für mich gibt,  das Verbindende zwischen Männern und Frauen zu sehen. Meine Hypothese ist, dass Männer und Frauen eigentlich meist beide eine ganzheitliche Verbindung mit sich selbst und einem Gegenüber suchen. Frauen versuchen das oft über das Eintrittstor des Redens und Männer über den Sex. Schön wäre es, wenn beide offen darüber sprechen lernen, was sie gerade im Moment brauchen um mehr Verbundenheit miteinander erleben zu können.

Warum sind viele Männer denn so sprachlos, wenn es um ihre persönliche Intimität geht? Oder ist das nur ein Klischee? 

Klischee oder nicht … in der Praxis bestätigt sich dieses Bild oft. Das ist aber nicht unbedingt Gottgegeben. Männer haben aus ihrer sozial-gesellschftlichen Historie heraus oft verlernen müssen, ihren Gefühlen zu nahe zu sein. Es ist nicht so, dass Männer per se weniger fühlen, nur finden sie oft keine passenden Worte die ihre Gefühle spiegeln. Das ist aber etwas, das man lernen kann. Damit das besser gelingt, braucht es aber noch mehr TIEFE im gesellschaftlichen Wandel der Rollenbilder. Obwohl wir da im Westen intellektuell sehr weit sind, sind unsere emotionalen Körper bei dieser Entwicklung nicht mitgekommen und von kollektivem Trauma überschattet, das viele Männer in Bezug auf Intimität noch immer sprachlos erscheinen lässt.

Wie ehrlich sind Männer dabei, wenn sie über Sex reden? 

Das hängt davon ab, wie sehr sie zu sich selbst stehen können und zu einem gewissen Grad auch davon wie offen und verurteilungsfrei ihre Gegenüber sind.

Und: Wie hat sich das im Laufe der Generationen verändert? 

Gesellschaftlich gesehen sind hier im Laufe der Zeit sicher viele Tabus aufgebrochen, was es prinzipiell leichter macht – womit sich faktisch aber immer noch viele schwer tun.

Wie reden Männer über Sex, wenn sie es denn mal tun? (a) mit der eigenen Partnerin, (b) im Freundeskreis?

Ich denke, dass das sehr individuell verschieden ist. Zu mir kommen Paare die sehr offen über ihre Sexualität sprechen sowie Paare die sich sehr lieben, aber das Sex-Thema total ausgespart haben – aus Scham oder der Angst vor einer Gefährdung der Beziehung.
Im Freundeskreis – auch wenn es sehr klischeehaft klingt –wird es Männern mit anderen Männern tendenziell leichter fallen, über ihre Geilheit oder ihre Lust beim “Ficken” zu sprechen und Frauen gegenüber werden sie eher versuchen sich als einfühlsamer, verständnisvoller Liebhaber zu präsentieren.
Und dann gibt es die Gespräche mit Menschen, die wirklich vollstes Vertrauen genießen – bei denen man jegliche Maske ablegen kann und wirklich über alles reden kann. Jedoch hat leider nicht jeder Mensch so eine vertraute Persob bzw fehlt – auf Grund der eigenen Geschichte – manchmal der Mut sich anderen so offen und in der Tiefe zu zeigen.

Vielleicht ist es ja nur ein persönlicher Eindruck: Aber warum neigen Männer gerne dazu, sexuelle Abenteuer beim Nacherzählen „auszuschmücken“ , sich selber besser darzustellen? Eine weit verbreitete Angst: „Es nicht drauf zu haben“… Woher kommt das? 

Männer sind gesellschaftlich seit Jahrhunderten dazu sozialisiert worden, zu leisten und zu performen. Die Beschaffenheit ihres Genitals (in der Erregung nach außen oben und zur Gänze sichtbar) legt näher als das Genital der Frauen (nach innen und teils verborgen) etwas damit zu TUN. Aus diesen und anderen Gründen identifizieren Männer sich eher als Frauen mit ihrem TUN und ihrer sexuellen Leistung. Durch das Ausschmücken von Erzählungen versuchen sich manche Männer als Helden darzustellen und sich aufzuwerten um ihre Unsicherheiten, ihre Scham und ihre Ängste nicht spüren und konfrontieren zu müssen.

Was macht  – ihrer Meinung nach – vielen Männern am meisten Kummer im Bett?

Ich würde eher fragen, was Männer unsicher macht. Ich denke die drei größten konkreten Ängste sind, im richtigen Moment keine Erektion zu bekommen, zu früh zu kommen und dass ihr Penis für die Frau entweder zu gross oder zu klein ist. In allen Fällen heißt das für sie, es nicht “gebracht” zu haben … die Frau nicht befriedigen zu können.
Das tragische ist, dass Männern oft noch immer nicht bewusst ist, dass das oft gar nicht das ist, was Frauen im Sex primär suchen. Und selbst wenn man es intellektuell weiß, dann ist es trotzdem schwer aus den persönlichen und kollektiven Mustern auszusteigen. Das kann ich auch aus eigener Erfahrung heraus sagen.
Ein Anlass zum Kummer könnte auch sein, dass sich Männer von Frauen pauschal als potentielle sexuelle Aggressoren verurteilt fühlen, bloß weil sie in einem männlichen Körper stecken. Es ist traurig, dass es Frauen aus diesem Grund manchmal schwer fällt sich auf ihre Lust einzulassen und dass Männer diese dann versuchen zu verstecken – wodurch sie sich ihrer Authentizität und Kraft berauben. Auf der anderen Seite ist es dann genau DAS was Frauen an ihnen ebenfalls kritisieren. Diese Doppelbotschaft führt bei Mänern zu einer gewissen Hilflosigkeit und Unsicherheit über ihre Identität.

Wirken sich Mainstream-Pornos jetzt eigentlich nur negativ auf unser Sexleben aus oder können sie auch helfen, die eigene Sexualität zu entdecken?

Im Leben lernen wir immer sowohl über Resonanz als auch Dissonanz. So gesehen kann ich schauen, was mich an Mainstream-Pornos erregt und anregt oder was mich neugierig macht und was mich abturnt oder kalt lässt. Das Problem ensteht erst dann, wenn Pornos die einzige Vorlage und Inspiration für die Gestaltung des eigenen Sexlebens werden und nicht als EINE mögliche Facette der Sexualität unter vielen gesehen wird.

Gerade in der Entwicklung, im Teenie-Alter, sind Pornos heutzutage schon oft ein großes Thema, weil sie leicht zugänglich sind. Hier wird doch ein komplett falsches Frauen- wie Männerbild vermittelt. Wie kann man da entgegenwirken? 

Durch gute Aufklärungsarbeit diesbezüglich, die Gott sein Dank eh immer besser wird. Bei anderen Film-Genres wie Komödien oder Horrorfilmen kommen Menschen ja auch nicht so leicht auf die Idee, dass da auf der Leinwand das echte Leben gespiegelt wird. Die selbe Botschaft muss man auch hinsichtlich Pornos vermitteln. Pädagogisch gesehen wäre es eigentlich wertvoller, ab einem gewissen Alter mit Jugendlichen Pornos anzusehen und dann kritisch zur Diskussion zu stellen, anstatt sie zu verteufeln. Gleichzeitig wäre es wichtig, alternative Pornografie anzubieten, in der Menschen eine natürlichere, differenziertere, facettenreichere Art von Sexualität erleben können. Darüber hab ich persönlich schon enrsthaft nachgedacht.

Wie könnte denn eine moderne Definition von Männlichkeit ausschauen? Brauchen wir so etwas überhaupt?

Ich scheue mich mittlerweile etwas vor Definitionen, weil ich nicht will, dass Menschen mit noch mehr Zwangsvorstellungen im Kopf herumlaufen. Männlichkeit fernab von Klischees heißt für mich persönlich, mich in meinem männlichen Körper wohl zu fühlen, mich darin so auszudrücken wie ich bin und zu mir als Mensch UND Mann zu stehen um mich in die Welt einzubringen zu können.

In Zeiten von toxischer Männlichkeit, zweifelhaften Rollenbildern, alten, weißen Männern, usw: Sind die Männer in der Krise?

Kollektiv gesehen stehen die Männer in einer Phase der Pubertät. Sie sind auch der Suche nach ihrer Identität mit der Frage – “Wer bin ich als Mann?” Das ist normal und verständlich denn das passiert immer, wenn alte Strukturen am Bröckeln sind und Neue noch nicht aufgebaut. Was mich als Mann stört ist, dass man gesellschaftlich immer nur von toxischer Männlichkeit spricht und nicht auch von toxischer Weiblichkeit. Schon C.G. Jung sprach von Anima und Animus und dem individuellen und kollektiven Schatten. Und der ist immer männlich UND weiblich.

Wie wichtig ist der Feminismus gerade für Männer?

Wir haben der feministischen Bewegung irrsinnig viel zu verdanken. Jedoch glaube ich, dass uns heute weder Feminismus noch das Gegenteil zum Ziel führen, sondern eine Bewegung von Frauen und Männern, die die Wunden der Vergangenheit miteinander heilen wollen und die sich offen und ehrlich auf Augenhöhe begegnen. Männer und Frauen sollten keine Gegner in einem Single beim Tennis sein, sondern Partner in einem Mixed-Doppel.

Ein Rat an junge Männer?

Sex ist nichts was Du automatisch können musst – es ist etwas das jeder Mensch lernen kann. Such Dir Umfelder wo das möglich ist. Außer im privaten Bereich gibt es bereits viele tolle Workshops für Jugendliche und junge Männer. Auch Männerkreise sind sehr unterstützend, wo man mit reiferen Männern Erfahrungen austauschen kann. Wir alle haben Ängste und Scham rund um dieses Thema – sprich GERADE DAS auch offen mit Frauen an. Sie werden es Dir danken.

Mit wem kannst Du am offensten über Sex reden? 

Ich selbst bin sehr offen mit dem Thema und kann fast genauso gut mit langjährigen Freunden, als auch mit wildfremden Menschen auf einer Party sehr offen über dieses Thema sprechen. Ich brauche dafür nur ein offenes Gegenüber das sich nicht überfordert oder geschockt fühlt.


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