Ein persönlicher Neujahrsbrief – Jänner 2022

Einer der Newsletter, die ich besonders gerne lese, ist der meines Freundes & Kollegen Christian Kichmaier.
Warum?
Weil er immer sehr sehr persönlich ist und oft fast poetisch. Nahezu wie ein echter Brief in alten Tagen, in dem Du die Innenwelt des Anderen noch wirklich mitkriegst.

Da in diesem Jahr bei mir viel passiert ist, möchte ich auch, dass ihr etwas mehr von meinem perönlichen Leben mitkriegt. Ich nehm Euch daher mit auf eine kurze Reise durch das Jahr 2021.

KRISE & MEHR MEER.

Von den ersten 3 “Krisen-Monaten” Jänner bis März hab ich Euch ja schon ein bißchen in meinem Blogartikel “Vom Vater Sein” berichtet. Ich bin froh, Euch sagen zu können, dass sich die Lage seit dieser Zeit beruhigt hat und ich erzähle mir gerade, dass wir im besten Fall alle gestärkt und etwas weiser aus dieser Phase hinausgegangen sind. Seit kurzem ist mein älterer Sohn stolzer Besitzer einer Vespa und reitet auf dieser immer wieder hinaus in die große weite Welt.

Diese Monate waren ursprünglich als radikale Auszeit für mich gedacht. Die Radikalität zeigte sich aber leider nicht in der Entspannung – sondern in der Krise. Danach hatte ich das Gefühl noch mehr den je ein Time-Out zu brauchen. Darum hab ich meine Praxis-Pause immer wieder verlängert – bis Ende September.

Da war ich dann auf Korfu.

Der erste Urlaub ganz allein am Meer seit fast 20 Jahren. Es hat mir sooo gut getan. Ich liebe Griechenland und den kleinen unspektakulären Ort Arillas, den ich schon von 2 Tantraseminaren kannte, an denen ich teilgenommen bzw assistiert hatte. Meeresrauschen, die Sonne auf der Haut, spektakuläre Farbenspiele beim Sonnenuntergang, ein bezauberndes Hügeldörfchen, eine Wanderung zu einer traumhaften Bucht, atemberaubende Aussichten, das Geräusch der Zikaden, der Geruch von Souvlaki am Grill, die Wärme auf der nackten Haut am FKK-Strand und das Wasser das einen trägt und jeden Zentimeter der Haut sanft umspült. NICHTS zu tun – außer liegen, schlafen, schwimmen, essen und spazieren.

In diesen Tagen bin ich draufgekommen, dass meine Auszeit noch nicht mal wirklich begonnen hatte. Dass ich trotz scheinbarer Reduktion immer noch zu viel am Tun war, zu geschäftig, zu involviert. Eine kosmetische Auszeit, die an sich schon gut war – der jedoch die Tiefe fehlte. Die Symptome gelindert hat, jedoch nicht bis an die Wurzel der “Krankheit” gereicht hat. Und die Sehnsucht ist erwacht, mich im kommenden Jahr mal 3-4 Wochen am Stück wirklich rauszunehmen aus dem Alltag und mehr Zeit mit Meer-Zeit zu genießen (sagt mir bitte, dass dieses Wortspiel toll ist *g*) .


TIEFE.

Ein Geschenk, welches mich wirklich in der Tiefe berührt und inspiriert hat, war die Begegnung mit der Methode “Radical Honesty” Ende Juli. Da habe ich meinen ersten Workshop gemacht. Die von Euch, die mich länger, besser und auch persönlich kennen, wissen, dass ich in meinem Leben viele Workshops besucht habe und noch viel mehr Bücher gelesen. Ich habe vieles erlebt das mich berührt und auch verändert hat. Ich habe aber selten erlebt, dass sich Erfahrungen, die ich an einem einzigen Wochenende gemacht habe, so unmittelbar und nachhaltig auf meinen Alltag auswirkten.

Ich habe dort nochmal mit jeder Zelle gespürt, was mein Kopf schon lange weiß. Wie schwer es mir fällt, bei heiklen Dingen ehrlich zu sein. Und damit meine ich nicht unbedingt, formal die Wahrheit zu sagen, sondern Dinge die da sind, zurückzuhalten, zu verschweigen, zu beschönigen, zurechtzubiegen oder nur Teile davon preiszugeben. Die Gründe für solches Verhalten sind vielfältig:

Andere nicht verletzen wollen, Angst vor Ablehnung, Scheu vor Konflikt und Streit, Scham, Unsicherheit, Überforderung von Gefühlen des anderen und eigener Gefühle, Unbewusstheit, das Gefühl, dass Worte im Hals stecken bleiben usw.

Bei Radical Honesty unterstützen sich Menschen gegenseitig dabei, sich bewusster zu werden, was in ihnen lebendig ist und das dann authentisch und ehrlich auszudrücken, anstatt das zu tun und zu sagen, was (taktisch) klug, höflich oder vernünftig scheint oder was gesellschaftliche Konventionen vorschreiben. Ziel ist die echtere und tiefere Verbindung mit sich selbst und seinem Gegenüber.

WUT.

Eine meiner größten Challenges (und das trifft auch auf die meisten Menschen zu die ich kenne) ist der Ausdruck von Ärger, Aggression und Wut. Das ist aber genau DIE Kraft die es mir ermöglicht, NEIN zu Dingen zu sagen. Und das wiederum ist wichtig, um mein Leben so zu gestalten wie ich es leben möchte – zB eben mit mehr Meer – und mich nicht in einem Hamsterrad wiederzufinden von lauter Dingen zu denen ich JA gesagt habe, die ich aber eigentlich gar nicht wirklich tun will, weil sie gar nicht meinem Lebenszweck dienen.

Bei der Auseinandersetzung damit hab ich erlebt, wie schwer es mir fällt, jemandem in die Augen zu schauen und ihm Dinge ins Gesicht zu sagen, während ich eine Heiden-Angst vor den Konsequenzen spüre.
Wie schwer es ist, auf ein Angebot eines anderen Menschen der Dir näher kommen mag, weil er Dich gut findet, NEIN zu sagen. Wie schwer es ist, seine Wut jemandem gegenüber auszudrücken, wenn mein Kopf mir sagt, dass ich dazu eigentlich kein Recht habe, weil (… der Kopf findet 1000 verschiedene kreative Gründe dafür). Wie schwer es ist, einem Menschen Dinge zu sagen, von denen man annimmt, dass sie den Anderen verletzen werden. Und wie gut, befreiend und meist verbindend es ist, WENN man den Mut dazu findet.

Denn Wut verschwindet nicht einfach, indem man rationalisiert oder meditiert um sich zu beruhigen. Wut hat – wie andere Gefühle auch – eine Botschaft. Wut will Achtung. Wut ist der Bodyguard deiner Werte und deiner Würde. 

In diesem Sinne ist Radical Honesty auch eine Art Meditation – eine sehr direkte, körperbewusste Meditation mit einem Gegenüber mit dem man seine Empfindungen, Gefühle und Gedanken in Kontakt bringt.

Darum hab ich im September gleich noch einen Workshop drangehängt. Ich bin froh und stolz auf mich, dass ich seit dieser Zeit mit diesem schwierigen Thema so große Fortschritte mache. Dass ich es besser schaffe auszudrücken, wenn mich Dinge stören, verletzen oder wütend machen. Das ist viel besser als oberflächlich freundlich und höflich zu bleiben, darunter aber passiv-aggressiv zu sein und seiner Wut in dieser ungesunden Form Ausdruck zu verleihen wie zB  in Form von:

* Sarkasmus, Zynismus, Hohn und Verachtung
* Ignoranz & Nicht Reagieren
* Distanz, Rückzug, Mauern & Coolness
* die Anderen aus Prinzip warten lassen oder Dinge absichtlich Verzögern
* Dinge tun und sich dann hinterher darüber beschweren
* über andere schlecht mit Dritten reden
* immer wieder Vereinbarungen brechen
* Kritik und Fehler suchen und finden
* Schweigen & Infos zurückhalten, sowie Liebe & Anerkennung entziehen
* Fantasieren darüber, wie man einem Menschen die Meinung sagen will und es dann doch nicht tun
* Depression & Opferhaltung

In manchen dieser Punkte, war / bin ich wahrscheinlich wahrlich ein Meister *g*

Eine “Hausübung” dieses Workshops war ein klärendes Gespräch mit meiner Mutter, welches mich (und wahrscheinlich auch sie) sehr beschenkt hat und worüber ich sehr dankbar bin.

BEZIEHUNGSWACHSTUM.

Es war ein sehr turbulentes Jahr in meiner Beziehung – zwischen ekstatischen Freuden & heftigen Wachstumsschmerzen. Dazu mag ich jetzt keine Details äußern – viel lieber Herbert Grönemeyer zitieren:

“Was immer du denkst, wohin ich führe,
Wohin es führt, vielleicht nur hinters Licht.
Du bist ein Geschenk.”

SEXPERIMENTE.

Es war auch ein Jahr des Forschens auf dem Gebiet der Sexualität. Nicht nur zu Berufszwecken. Sex ist für mich nicht nur Sex. Sex ist für mich die lustvollste Art der Persönlichkeitsentwicklung. Das Bett ist eine Bühne, um das zu zeigen & auszudrücken, was tief in Dir steckt. Und das Liebesspiel ist eine Einladung an eine andere Person, mit Dir gemeinsam die intimste & lebendigste aller Erfahrungen zu machen. Auch hier habe ich versucht, radikal ehrlich(er) zu sein und ich habe beobachten können, dass es trotz besseren Wissens nach all den Jahren noch immer eine große Herausforderung ist, Dinge beim Sex direkt anzusprechen. Dadurch hab ich auch wieder viel Mitgefühl UND Hochachtung vor meinen KlientInnen bekommen. Ihr seid HeldInnen für mich. Und ich bedanke mich mit größter Wertschätzung und Demut bei all den Frauen die es mir beruflich und privat möglich machen, so tiefgehende Erfahrungen auf diesem Gebiet zu sammeln und in so einer Tiefe daran forschen zu können.

SPOILER.

Aus diesem beruflichen und privaten Erfahrungs-Wissen wird dieses Jahr ein Online-Kurs geboren werden (der viel mehr ist als nur das) und den ich – neben der Liebesschule – als sowas wie ein weiteres Lebenswerk bezeichnen würde. Stay tuned!

AUCH KAMINZEIT IST AUSZEIT.

Ein Highlight für mich diesen Winter ist der Platz in meiner Wohnung von dem aus ich diese Zeilen in mein geliebtes MacBookAir tippe. Der Platz am Boden gleich neben dem Kaminfeuer. Ich liebe es in der Früh wenn es noch kalt ist, dort ein Feuer zu entfachen und zu meditieren …  und abends in der heimeligen Wärme den züngelnden Flammen zuzusehen, wie sie ein Stück Holz nach dem anderen verzehren. Eine Erinnerung an das – in uns allen brennende – Lebensfeuer, welches ich dieses Jahr gern für die Dinge brennen lassen möchte, die mich wirklich begeistern.

Mit diesen Worten komm ich jetzt zu einem Ende und lasse die Spiele (des Jahres 2022) beginnen.

Alles Liebe,
Euer Manuel

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